Wie man eine Kata läuft, wenn man im Rollstuhl sitzt – Para-Karate, Prüfertraining und vieles mehr auf dem TKV-Tag 2023

Natürlich läuft man die Kata nicht, sondern rollt sie quasi. Dass das nicht ganz einfach ist, wenn es keine „Vorschrift“ im engeren Sinn gibt, versteht man, wenn man es mal gemacht hat. So wie ich beim TKV-Tag 2023 in Königsee.

Eigentlich kam ich dazu wie die berühmte Jungfrau zum Kinde: Auf der Agenda standen zwischen 11 und 12 Uhr die Angebote „Kata-Training bis 13 Jahre“ – ok, ich bin ein bisschen älter. In Halle 3 lief eine Kobudo-Session – einen Bo besitze ich nicht und habe mich damit auch noch nie beschäftigt. Zeitgleich boten Dr. Michael Schorr und Sven Baum eine Einheit Para-Karate an. Tja, da blieb nicht viel übrig, wenn man die Zeit nicht mit Kaffee und Kuchen verbringen wollte. In Anbetracht der Anreise von gut einer Stunde wäre das sehr dürftig gewesen. Also: Para-Karate.

Sven Baum Para-Karateka
Para-Karateka Sven Baum erklärt, wie man den Rollstuhl effektiv einsetzt. (Foto: Julia Friedensohn/TKV)

Fokus auf das Training

Von den knapp 200 Teilnehmern der Veranstaltung konnten sich nicht sehr viele dafür erwärmen – zum Glück – denn so waren intensive 60 Minuten und diverse Fragen möglich. Meine Vorstellung waren bis dahin Rollstuhlfahrer in weißen Anzügen. Micha, der den ersten Teil übernahm, warf dieses Vorurteil gleich über den Haufen: Denn so verschieden Menschen sind, so divers sind auch deren Handicaps. Das gilt es zu erkennen und ein bestmögliches Training zu gewährleisten – durch Integration, Rücksicht, aber auch Fordern oder auch individuelle Betreuung. Denn genau, wie bei allen anderen Trainings sollte jeder so viel wie möglich für sich selbst aus jeder Einheit mitnehmen und sich weiterentwickeln können. Klingt erst einmal als eine große Herausforderung für alle – tatsächlich ist sie aber gar nicht so riesig, wenn man sich darauf und auf die Menschen einlässt. Dabei kommt es auch nicht auf die Art des Handicaps an – seelisch oder körperlich – sondern darauf, wie man damit umgeht.

Menschen mit Handicaps sind nicht wehrlos

So kam es, dass ich beim Kihon-Ippon Training Para-Karateka Sven Baum als Trainingspartner abbekam. Sven sitzt im Rollstuhl. Nach meinem ersten zögerlichen Angriff (man kann doch niemanden im Rollstuhl schlagen?!) merkte ich schnell, dass Sven so gar kein Opfer ist und sich ziemlich effektiv wehren kann. Als Mensch, der seine Beine gut nutzen kann, war mir gar nicht bewusst, dass der Rolli bei ihm dazugehört, wie eben die Beine zu mir. Was soll ich sagen – so schnell konnte ich gar nicht denken, wie ich einfach zu Boden ging. Ich habe gelernt, dass die Trefferflächen aus seiner Perspektive eben andere sind und man sich mit einem Rolli am besten rückwärts zur Wand bewegt, um dem Angreifer nicht den Rücken – die Schwachstelle – zu präsentieren. Allerdings haben kleine oder dünne Menschen auch andere Trefferflächen bzw. nutzen andere Techniken. Also eigentlich ganz logisch – oder?

Kata auf zwei Rädern

Aber wie sieht eine Kata im Rollstuhl aus? Da ist ein bisschen Kreativität gefragt: Das Ziel bzw. die Vorgabe ist die ganz „normale“ Kata. Hier gilt es, so nah wie möglich an die Form heranzureichen. Wenn die Kata also einen Schritt nach vorn vorgibt, rollt man halt nach vorn. Armtechniken werden so ausgeführt, wie es das Handicap zulässt. Stehen Tritte oder Fegen an, werden diese z. B. als Kippbewegungen interpretiert. Gar nicht so schwer, oder? Ich habs ausprobiert: Doch schwer. Mein Hirn verknüpft die Armtechniken mit den Beintechniken – es kennt den Rolli nicht. Das ganze jetzt auf Rädern umzusetzen, ist anspruchsvoll und gewöhnungsbedürftig. Auf jeden Fall hat die Erfahrung Spaß gemacht. Auch als Trainerin habe ich einiges mitgenommen: Sven zitierte seinen Trainer sinngemäß, dass, wenn man jemandem das Reiten beibringen will, man sich auf ein Pferd setzen muss. Logisch. Aber manchmal scheitern wir in der Anwendung. Es bringt nicht nur die Trainingsgruppe weiter, wenn der Trainer mal die Perspektive wechselt – auch als Lehrender ist es gut, wenn man weiß, wovon man spricht und die „Schüler“ dort abholt, wo sie sind.

Nach dem Praxisteil trafen sich Prüfer und angehende Prüfer für einen kurzen Austausch.

Train the Trainer: auch Prüfer müssen lernen

Genau das durfte ich auch in einer anderen Session erfahren: Als Braungurt und Nicht-Prüfer-Anwärter hatte ich die Möglichkeit, beim Prüfertraining mitzumachen (ok – als Statist, aber man nimmt ja schließlich immer etwas mit). Hier wurden wir in einzelne Gruppen eingeteilt. Jeweils ein Gruppenmitglied hatte die Aufgabe, eine Prüfung mit den anderen Teilnhehmern durchzuführen. Jede Gruppe erhielt ein anderes Prüfungsprogramm. Wir waren mit der Prüfung zum 1. Kyu an der Reihe. Inmitten der Dan-Träger kam ich mir schon recht klein vor. Brauchte ich aber gar nicht. Meine Trainingskollegen um Klaus Bitsch gingen die Sache sehr professionell an – und so konnte ich meine Jion zeigen und mir auch noch den ein oder anderen Tipp zum Bunkai und Kumite abholen. Last but not least konnten Martin Samol und Ingo Brandenburg ihre Prüferlizenz mit nach Hause nehmen.

Martin Samol und Ingo Brandenburg konnten als frisch gebackene C-Prüfer nach Hause fahren.

Kata-Session mit Andreas Kolleck

Kata ab 3. Kyu – so das Programm mit Stilrichtungsreferent Andreas Kolleck. Er hatte die einzige Atemkata aus dem Shotokan-Programm gewählt: Hangetsu. Die Besonderheit hier: Der Hangetsu-Dashi. Diese Stellung kommt ausschließlich in dieser Kata vor, die ab der Oberstufe trainiert wird. Besonders spannend war für mich das Bunkai. Andreas zeigte für jede einzelne Sequenz eine Anwendung – egal, ob sie in der Kata einzigartig ist oder sich drei Mal wiederholt. So bekamen wir einen ganzen Blumenstrauß an Varianten gezeigt, die wir dann mit einem Partner üben konnten. Mich überraschten diese Vielfalt und der Ideenreichtum bei der Interpretation der Kata. Leider war hier die Zeit zu kurz, um sich der Kata bis zum Ende zu widmen. Trotzdem – die Inspiration – auch für andere Katas – bleibt.

Training, Inspiration, Netzwerken

Ja, der Tag hat sich gelohnt. Anfangs war ich etwas skeptisch – aber wahrscheinlich bin ich Menschenmengen einfach nicht mehr gewohnt. Keine Minute Langeweile, abwechslungsreiche Themen, Dozenten und Trainings. Jeder vermittelt seine Inhalte etwas anders, jeder Trainer hat andere Schwerpunkte. Daraus kann man auch fürs eigene Training immer wieder Ideen ziehen, um dann die eigene Gruppe nach vorn zu bringen und abwechslungsreiche Sessions anzubieten. Natürlich nimmt man auch immer für die eigene Weiterentwicklung Aspekte mit nach Hause. Nicht zuletzt sind es aber die Menschen, mit denen sich fachsimpeln oder einfach nur ein Schwatz machen lässt.

Autorin: Cornelia Lässing vom Shotokan Dojo Jena e.V.