Auch im November 2018 lud unser Verein seine Mitglieder wieder zu einem alljährlichen internen Lehrgang ein. Wir hatten wieder das Jugend- und Sporthotel Euroville in Naumburg gebucht: Es ist recht schnell zu erreichen und hat eine riesige Dreifelder-Sporthalle direkt neben dem Haupthaus und den kleineren Gruppenhäusern. Ebenfalls positiv: Nur ein Fernseher im Gemeinschaftsraum und kaum Handyempfang :-).
Kanku-Dai Seminar im kleinen Kreis in Naumburg
Leider stand wohl das Datum unter keinem guten Stern – einige unserer Sportsfreunde mussten absagen und konnten so gar nicht teilnehmen. Aber es gibt ja auch noch Familie und Job neben dem Hobby. Vielleicht klappt es 2019 wieder besser.
Trotz allen Widrigkeiten konnten wir ein Wochenende voller neuer Eindrücke, neuer Mitglieder und natürlich voller Techniken mitnehmen. Erstmalig übernahm Ingo – Trainer unserer Montagsgruppe – die Vorbereitung, Leitung und Durchführung der drei Trainingseinheiten.
Kegeln und Erwärmung im Fitnessraum
Am Freitag trafen wir uns gegen 17 Uhr an der Rezeption des Hotels. Nach Bezug unserer Villa Alpenhütte vergnügten wir uns auf der hauseigenen Kegelbahn. Nach einer kleinen Einstiegsfeier im Gemeinschaftsraum unseres Hauses ging es dann zeitig schlafen – schließlich wollten wir am Samstag frisch und fit in die erste Trainingseinheit einsteigen. Da die Dreifelderhalle aber am Abend zuvor anderweitig belegt und am Morgen noch gereinigt wurde, mussten wir auf den nagelneuen Fitnessraum ausweichen. Den nutzten wir ausgiebig für unsere Erwärmung. An Rudergerät, Beinpresse oder Stepper brachten wir die Muskeln in Schwung. Danach konnten wir in die große Halle wechseln und mit dem eigentlichen Lehrgang beginnen. Ingo hatte sich dafür die Kata Kanku-Dai ausgesucht. Die vereint die meisten Grundtechniken und ist deswegen für Anfänger und Fortgeschrittene gleichermaßen gut geeignet.
Anblick des Himmels – eine Kata mit chinesischen Wurzeln
Kanku-Dai bedeutet „Anblick des Himmels – groß“. Die Kata basiert auf der chinesischen Kata Kūsankū. Kūsankū war der Name eines Kampfkunsexperten aus dem 18. Jahrhundert. Er wurde als Gesandter des chinesischen Kaisers nach Okinawa geschickt. Damals existierten zwischen China und Okinawa gute Handels- und Militärbeziehungen, sodass zahlreiche Familien von China nach Okinawa übersiedelten. So traf die chinesische traditionelle Kampfkunst Quanfa auf das okinawische Selbstverteidigungskonzept Te. Dieser Einfluss war so gewaltig, dass sich aus dem rein praktischen okinawischen System in Kombination mit der chinesischen Hintergründigkeit tatsächlich eine neue Kampfkunst entwickelte: Tode, später auch Okinawa Te genannt. Itosu Anko splittete die Kūsankū in drei Teile, denn chinesische Kata enthielten nicht selten 150 bis 200 Bewegungen – diese komplexen Katas konnten in dem damals neu entstandenen okinawischen System nicht standhalten.
Nach Japan wurden die Kata durch Funakoshi Gichin und seine Schüler übertragen. Heute trainieren wir im Shotokan Karate diese zwei Kata aus der urspünglichen Kūsankū:
- Kanku-Dai
- Kanku-Sho
Schwerpunkt Bunkai (Anwendung)
In diesem Lehrgang sollte es jedoch weniger um den Ablauf, als um die Anwendung der einzelnen Sequenzen gehen. Um die Karateka auf das Bunkai zu sensibilisieren, lernten wir für Shotokan Karate eher ungewöhnliche Anwendungen kennen. Eine Kata ist schließlich eine Abfolge von Techniken, um Angriffe abzuwehren und durch Konter den Gegner auszuschalten. Das kann freilich nicht für jeden Kämpfer gleich sein: Verschiedene Körperphysiologien, Beweglichkeiten, Alter, Geschlecht – all das wirkt sich auf mögliche Angriffs- bzw. Verteidigungstechniken aus. Karate ist eben eine KampfKUNST – nicht nur ein Sport. Also hieß es „Kopf einschalten!“. Trainer machen nur Vorschläge, die jeder für sich passend umsetzen muss. Hinterfragen und Kreativität ist gefragt – ohne dabei die Techniken der Kata außer Acht zu lassen.
Hier findet ihr einige Sequenzen aus der Kata mit einer Anwendungsempfehlung (Playlist = 8 Videos):
Über den Tellerrand: Inspirationen aus anderen Kampfstilen
So kommt es, dass wir auf andere Stilrichtungen oder gar andere Kampfkünste schauen, um den eigenen Horizont zu erweitern. Im April konnten wir Olaf Krey, den offiziellen Vertreter des KU Germany für einen Lehrgang gewinnen. Damals stand die Naihanchi – bzw. die Tekki im Visier. Gelernt haben wir viel mehr: Karate ist vielfältiger, facettenreicher und mehr als ein Sport. Karate ist Geschichte und erzählt Geschichten. Karate ist gelebte Gesundheit, auf sich selbst hören, Selbstachtung und -verteidigung. Wer glaubt, nur zum Auspowern ins Dojo zu gehen, ist hier falsch. Und genau das ist ein Ziel in unseren Trainingseinheiten und Lehrgängen: persönliche Weiterentwicklung, körperliche, geistige und emotionale Fitness – viel mehr als ein Sport also. Darüber haben wir auch hier im Blog berichtet.